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  • Eine Person mit Atemschutzmaske steht vor einem in einem goldenen Rahmen an eine schwarze Wand gehängten Spiegel und macht ein Foto. Im Spiegel sieht man außer der fotografierenden Person eine weitere, die sich die Gemälde im Hintergrund anschaut.
  • Links sthet ein DJ-Pult mit einer DJ, der die Turntables zwischen zwei leuchtenden Palmen bedient. Rechts ein ein Weiterer Musiker mit einem Keyboard. Auf einem Leuchtschild vor ihm ist der Schriftzug Putzecat zu lesen.
  • In einer Lagerhalle auf einem Dach leuchten bunte Neonlichter durch eine Öffnung.
  • Ein halbdurchlässiges Rollo an einem Fenster lässt ein DJ-Set in dem Raum dahinter erahnen. Vor dem Fenster steht eine Person.
  • Eine schwarze Wand mit mehreren Fotografien in dunklen Tönen.
  • Zwei Bildschrime, auf denen eine Gruppe an Menschen in Umrissen zu erkennen ist, an Stahltärgern vor einem schwarzen Vorhang.

Was ist live? – Ein Abend in der Werkstadt Witten
mit viel Erfindungsreichtum in Zeiten von Corona.

Das #nrwzeigtkultur-Projekt in Witten

Von Anke von Heyl

 

Am Anfang steht eine Frage. Eine Frage, die all diejenigen umtreibt, die seit den Beschränkungen durch die Corona-Pandemie über die Zukunft von Veranstaltungen nachdenken. So auch Joscha Denzel, der mit einem besonderen Abend zu einer ganz neuen Antwort gekommen ist. Ihn hat die abgefilmte Variante von Live-Musik-Veranstaltungen nämlich nicht überzeugen können. Es kommt seiner Meinung nach zu wenig Gefühl beim Publikum an. Was also tun in Zeiten, da Veranstaltungen vor großem Publikum bis auf Weiteres schwierig bleiben? Kulturbloggerin Anke von Heyl hat sich „Was ist live?“ angesehen und über das Erlebnis dieser interaktiven Abendveranstaltung in der Werkstadt Witten für uns berichtet.

 

Wer gehört hier zu wem? Mischen der Gruppen geht leider nicht, der Abstand muss gewahrt werden. Am Eingang zur Werkstadt Witten warten wir geduldig, bis wir aufgerufen werden. Nach dem mittlerweile geübten Eintragen der Kontaktdaten und einem Sprühstoß aus der Desinfektionsflasche folgen wir der netten Mitarbeiterin zum ersten Stopp unseres Rundgangs. Leider traben wir zunächst in der falschen Gruppe los, werden noch einmal zurückgeholt und dürfen dann endlich unseren angestammten Platz einnehmen. Das Prinzip der Gruppenteilung klingt ein wenig kompliziert, ist aber tatsächlich ein cleveres Hygienekonzept. Es hat zum anderen auch mit einem ganz besonderen Besuchererlebnis zu tun. In insgesamt sechs Stationen wird man durch die große Halle der Werkstadt Witten geschleust. An jeder verbleibt man 15 Minuten und wird dann jeweils aufgefordert, weiterzugehen. Was am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig ist, erweist sich aber als eine interessante Erfahrung, was die Wahrnehmung der Umgebung angeht. Wäre man vielleicht schneller durchgelaufen, wenn man sich seinem eignen Rhythmus hätte hingeben können, bleibt man jetzt über eine erste oberflächliche Bestandsaufnahme hinaus an einem Ort. Und sieht nach fünf Minuten mehr Details, als man zunächst vermutet hätte.

So geht es mir im ersten Raum bei der Ausstellung mit Arbeiten von Constantin Grolig. Er fotografiert die Raver-Szene an Orten, wo sie sich zu inoffiziellen und geheimen Raves trifft. Seine Bilder wirken wie flüchtige Momentaufnahmen, sind wie ein kurzes Aufblitzen im Zucken der Lichteffekte einem ganz besonderen Rhythmus unterworfen. Gleichzeitig nimmt mich die gesamte Inszenierung des Raumes mit in ein Gefühl, das dem ekstatischen Gemeinschaftserlebnis der Raves gleichkommt. Der Sound wummert, schwarze Wände feiern im Kontrast zu Glitzerkugel und Silberfolie die Clubkultur. Auf den Fotos erblicke ich schwitzende Haut, enge Gänge, schnelle Gesten. Auch Momente der Erschöpfung mache ich nach einer Weile unter den Fotos aus, die so wirken, als seien sie nebenbei geschossen, von einem, der weniger beobachtet als vielmehr mittendrin ist und feiert. Mein Spiegelbild fügt sich nahtlos ein.

Nachdem wir genügend Zeit mit dem Raven verbracht haben, kommen wir zu einer Station, bei der Chillen angesagt ist. Mit einer Weißweinschorle nehme ich in der Sitzecke Platz und treffe Joscha Denzel zu einem kurzen Talk. Er berichtet mir von den Planungen zu der Veranstaltung, die natürlich im Zeichen der Corona-Pandemie entstanden ist. Aber für ihn und seine Mitstreiter*innen ist auch die Frage nach der Verbindung von Analogem und Digitalem ein wichtiges Moment. Mit einem Computer-Linguisten und einem Streaming-Experten hätten sie die Veranstaltung sorgfältig geplant. Gleichzeitig zu dem Erlebnis vor Ort läuft nämlich im Netz ein Stream, der das Musik-Set, zu dem wir gleich noch kommen werden, überträgt. Dort sind zwei Acts zu sehen: neben Putzecat, der mit analogen Synthesizern „handgemachte“ Musik beisteuert, legen auch AlicE_and_bOb auf. Im Stream können die User zwischen beiden wählen und je nach den meisten Klicks verändert sich der übertragene Sound. Ein spannendes Experiment mit der Interaktion im digitalen Raum. Banal ist das alles nicht, was dafür programmiert und organisiert werden muss. Joscha Denzel erzählt mir, wie er noch in letzter Minute eine eigene Seite programmieren musste, da die ursprüngliche Streaming-Plattform von den Schnittstellen her nicht kompatibel war. Und er gibt mir auf den Weg, bei den beiden nächsten Stationen aufmerksam zu vergleichen. Bei der ersten wird einem die Live-Übertragung der Acts von der Bühne auf einer Jalousie serviert. Und gleich im Anschluss geht man über zur Live-Performance und steht direkt vor der Bühne. An dieser Stelle wird also die Frage verhandelt: Was ist live?

Das ist live. Was ich da vorne auf der Jalousie sehe. Der Sound ist satt, ich fange an, mich zu bewegen. Was ein bisschen anstrengend ist, denn ich trage immer noch Maske. Dennoch fühle ich mich von dem Bild da vorne angezogen, ich lasse mich mitnehmen von den wechselnden Einstellungen der Kamera. Ich weiß, dass ich gerade das sehe, was nebenan live auf der Bühne gegeben wird. Es hat ein bisschen was von Public Viewing. Und ich finde es nicht schlecht, auf diese Weise dabei zu sein. Die „Versuchsanordnung“ mit der Projektion auf eine heruntergelassene Jalousie irritiert mich ein wenig. Aber ich glaube, Irritation ist auch gewünscht. Ich merke indes, wie in mir die Spannung steigt. Ich möchte doch jetzt gerne weitergehen. Und endlich die Musik live erleben. Hätte ich diese Option nicht, würde ich vielleicht auch sehr zufrieden mit der Übertragung sein, die mich immerhin direkt am Tun der DJs teilhaben lässt. Endlich! Wir dürfen weiter.

Durch eine Treppe werden wir zum Hintereingang zur Bühne geleitet. Ein bisschen komme ich mir vor wie ein Groupie, das in den Backstage-Bereich darf. Und dann ist es so weit. Wir betreten den weiten Saal und werden sofort eingefangen von einem Sound, der eine ganz andere Nummer ist. Spontan muss ich an Herbert Grönemeyers Song „Sie hört Musik nur, wenn sie laut ist“ denken. Der Bass wummert durch mich hindurch. Ja, das ist wirklich ein Ganzkörper-Erlebnis! Von der Bühne aus bekomme ich ein Leuchtarmband zugeworfen. Ich werde gesehen und ich antworte mit dem Daumen hoch. Diese Beziehung zwischen Bühne und Publikum geht natürlich nur so. Nur live! Auch die Lichteffekte, die Nebelmaschine – all das sind Details, die zu einem besonderen Gesamterlebnis gehören. Das einzige, was mich ein wenig irritiert, ist die Tatsache, dass ich mit meiner Begleitung allein das Publikum bilde – man erinnere sich: die Gruppeneinteilung! Aber hey, wie genial ist das denn. Ein Live-Konzert nur für uns ganz allein!!! Dementsprechend schade finde ich es, dass die 15 Minuten dieses Mal ungleich schneller vergehen als in den vorherigen Abschnitten.

Was ist live? Live ist direkt. Live ist unmittelbar. Live ist live – oder so! Live ist ohne Filter. Live ist mit Anfassen. Live ist ungeschminkt. Live ist echt. Live ist jetzt. Live ist besser (Google Treffer). Life ist beautiful ????

Wer denkt, das war es schon, dem sei noch dieses kleine Zusatz-Stück gegönnt, mit dem sich der Kreis des Rundgangs an diesem Abend in Witten geschlossen hat. Nach einem kleinen Gang durch die dunkle Nacht kommen wir wieder am Eingang an, wo wir diesmal in einen Raum mit zwei Monitoren geleitet werden, auf dem das Screening von „Das nullte Moment“ gezeigt wird.

„Das Zusammentreffen von Menschen im Club bildet eine Gemeinschaft, für die der gesellschaftliche Status zweitrangig wird: Rhythmus definiert den Takt des Abends, der für alle gleich schlägt.“

Alexander Rütten und Jana Kerima Stolzer (aka AlicE_and_bOb) haben hier eine Perfomance inszeniert, in der das Publikum durch unterschiedliche Formen der Einladung und Ankündigung ganz unterschiedlich reagiert. Die einen denken, sie seien auf einem Rave, und tanzen sich die Seele aus dem Leib, als die Musik einsetzt. Die anderen wähnen sich auf einer Vernissage und schauen interessiert der „Tanzperformance“ zu. Auch das ist eine Antwort auf die Frage: Was ist live? Live ist das, was wir draus machen. Und so ist es nur folgerichtig, dass ein dritter Monitor als Metaebene die gerade Zusehenden – also uns – spiegelt: Zu welcher Gruppe gehören wir? Aus Rezeption wird Interaktion, aus Konsumierenden werden Akteure.

Und so endet dieser Abend mit weiteren Anregungen, die weiterwirken werden. Es war ein Abend mit ganz besonderen Erlebnissen, von denen es zukünftig gerne mehr geben darf. Großes Kompliment an das Team der Werkstadt Witten für so viel Experimentierfreude und die perfekte Organisation!

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