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Klangkosmos: Safar

Musik und klassische Stücke aus der Blütezeit afghanischer Musikkultur. Tourneezeitraum ca. 10. bis 31. März 2020.

Es gibt feinste Klänge vom Hindukusch zu hören. Jenseits der täglichen Bilderflut lohnt es sich einige spannend-bewegte Momente der Musikgeschichte Afghanistans mit Safar zu erkunden und dem Meisterensemble Safar des „Afghanistan National Institute of Music“ (ANIM) in Kabul zu lauschen, das nach dem Ende der Taliban die letzten im Land lebenden Meistermusiker*innen wieder versammelt hat. Safar rekonstruiert und vermittelt die komplexen, oral tradierten Musikwelten.

Seit 2012 besteht eine regelmäßige Kooperation mit dem „Afghanistan Music Research Center AMRC“ der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar und Safar. In intensiver Kooperation afghanischer und deutscher Musiker*innen wurden seitdem Lieder, Klänge und musikalisches Wissen zwischen Deutschland und Afghanistan hin und zurück getragen und fast verloren geglaubte musikalische Früchte geerntet. Der Name des Ensembles hätte nicht treffender gewählt werden können: Safar heißt Reise. Seine Musik ist kraftvoller Ausdruck von Hoffnung, Freude, Leid und Freiheit sowie Werkzeug für Bildung und Wissen. 

Einblicke in die Musikgeschichte Afghanistans:

Afghanistan, ehemals an der legendären Seidenstraße gelegen, befindet sich zwischen dem Einflussbereich zentralasiatischer Mogulreiche im Norden und Indien im Süden, China im Osten und Persien im Westen. Das heutige Afghanistan gehörte für fast ein Jahrtausend bis ca. 650 n. Chr. zum Perserreich. Gefolgt wurde diese Epoche von einer wechselhaften Geschichte, in der das Land bis ins 19. Jahrhundert viele innere Konflikte erlebte und zum Zankapfel fremder Mächte wurde, die dort um die Vormachtstellung kämpften: arabische Invasoren, paschtunische Stämme, Mongolen, Indische Maharadschas. Afghanische Musik ist ein Zusammenfluss all dieser Quellen. Jede Kultur hat zur Musik Afghanistans Instrumente, Gattungen und Stile beigesteuert und so zu ihrem außergewöhnlichen Reichtum und ihrer Vielfalt beigetragen.

Im frühen 19. Jahrhundert kollidierten dann russische und britische Kolonialinteressen in Afghanistan. Es kam in Folge innerer Stammesstreitigkeiten zu Teilungen des Landes und zu Einmischungen durch Russen und Engländer. Im Zeitraum 1839 bis 1919 fanden drei Afghanisch-Britische Kriege statt, die 1921 mit der Anerkennung der Unabhängigkeit Afghanistans durch Großbritannien und Russland endeten. Unter der Herrschaft der Briten und Russen wurden die heutigen Grenzen Afghanistans festgelegt. Von 1926 bis 1973 wurde Afghanistan als konstitutionelles Königreich nach britischem Vorbild regiert.

Die 1960er und frühen 1970er Jahre werden heute als die „Goldene Zeit“ Afghanistans bezeichnet. Kabul war damals eine kosmopolitische Stadt mit zehntausenden westeuropäischen, amerikanischen und australischen Touristen und Pilgerstätte der Hippie Trails. Viele dieser Reisenden waren mit Drogen und Musik auf Sinnsuche und Kabul war ihr Shangrila. So kamen auch Pop, Jazz und Tanzmusik nach Kabul, und das Künstlerviertel Kharabat war schillernder Treffpunkt, in dem das musikalische Herz Afghanistans schlug. Dort waren Musikschulen vieler großer Meister, Instrumentenbauer hatten ihre Werkstätten, und es erklang aus den offenen Fenstern der Häuser alle Arten von Musik: Volks- und Hochzeitsmusiken aus vielen Regionen des Landes genauso wie mystisch-religiöse Sufimusik.

Benannt wurde das Viertel mit dem persischen Begriff für einen zoroastrischen Tempel, der auch „Feuerstelle“ oder „Sonne“ bedeutet. In der Mystik ist Kharabat eine Allegorie für Gott. Einer der wichtigsten persischen Mystiker des 13. Jahrhunderts, Celaleddin Rumi, der aus dem heutigen Afghanistan stammte, machte ihn zu einer „Institution“: Kharabat ist der Ort, an dem die Menschen den schönen Künsten nachgehen konnten; Künste, die in jener Zeit „verpönt“ waren. Mittels Kunst und Kultur, Gesang und Tanz, Musizieren und Meditieren kann die Hingabe zu Gott verwirklicht werden und durch die geistige Haltung wurde der Mensch geläutert. Er kann sich mit Gott verbinden. Diese mit Kharabat verbundene kulturelle Tradition ist in Rumis überlieferten Gedichten erhalten geblieben, und die Sufi-Musik ist bis heute ein Ausdruck friedvoller Verbindung von Musik mit dem Islam.

In den späten 1970er Jahren rückte Afghanistan dann ins Fadenkreuz der Weltpolitik. Nach der Machtübernahme durch die kommunistische Partei 1978 intervenierte Moskau im Dezember 1979, um das Sowjetreich zu stützen. Es wurde ein Coup von den Sowjets inszeniert, ähnlich wie zuletzt von Russland in der Ukraine: Flugzeuge brachten über Nacht Militärfahrzeuge ins Land, die afghanische Hoheitszeichen hatten, und die Soldaten trugen afghanische Uniformen. Für ein Jahrzehnt wurde der kulturelle Klimawechsel auch in der Musik spürbar: Die Sowjets förderten zwar Musik, allerdings nur, wenn sie im Dienste der Propaganda stand. Politische Zensur und Attentate auf Musiker*innen waren an der Tagesordnung und hatten eine erste große Migrationswelle afghanischer Musiker*innen ins Ausland zur Folge. Diejenigen, die sich nicht für die kommunistische Propaganda benutzen lassen wollten, verließen das Land Richtung Pakistan, aber auch Deutschland, die Schweiz, Kanada und die USA waren Zielländer dieser Musiker*innen.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gewannen dann die Mudschahedin ab 1992 die Kontrolle und führten einen Dschihad zur Befreiung von kommunistischer Herrschaft. Zunächst wurde auch von den Mudschahedin eine Art politisches Lied geduldet, um sich entweder nach dem Kampf zu beruhigen oder sich für den Kampf Mut zuzusingen. Musik mußte nun jedoch ideologisch dem Islam dienen. In der Folge durften Frauen nicht mehr öffentlich singen, Musikschulen wurden geplündert und Instrumente zerstört, Musikfilme verboten, Musiker*innen mit dem Tod bedroht und im April 1992 die Häuser des Musikerviertels Kharabat vollständig zerstört. In dieser Zeit entstand eine große Exilgemeinde afghanischer Musiker*innen in Peshāwar in Pakistan. Erstmalig wurde hier systematisch afghanische Folk Musik mit Tonaufnahmen dokumentiert, um Zeugnisse der oralen Musiktradition für die nächste Generation zu sichern.

Ab September 1996 übernahmen dann die Taliban die Herrschaft im Land und setzen ihre extreme Interpretation des Islam durch, um die afghanische Identität, Geschichte und Kultur endgültig zu zerstören: Sie verbrannten Bücher und Kassetten, zerstörten das komplette afghanische Filmarchiv, sprengten die Buddhas von Bamian und bannten jegliche Musik – live, im Radio und TV. Erlaubt waren nur noch religiöse Gesänge ohne instrumentale Begleitung, sogenannte Lieder ohne Musik. 

Nach der Befreiung von den Taliban im Oktober 2001 begann eine Zeit des Aufbruchs in Afghanistan, und die Musik wurde zu einem der wichtigsten Elemente, um die Identität der Menschen im Land wieder aufzurichten.

So begann unter schwierigsten Bedingungen die systematische Rekonstruktion der afghanischen Musiklandschaft in einem während fast 40 Jahren durch Krieg erschütterten Land: In kurzer Zeit entstanden mehr als einhundert Radiosender im Land und viele von ihnen spielten Musik. Die Spuren der Musik selbst mußten mühsam aus der ganzen Welt wieder zusammengetragen werden; das Wissen um die melodischen Modi, die Gattungen, Rhythmen und das Repertoire war verstreut in vielen Ländern, in denen die Meistermusiker Exil gefunden hatten. Es wurden neue Instrumente gebraucht, um all die zerstörten zu ersetzen. Die letzten überlebenden Instrumentenbauer rarer Klangkörper wie Rubab oder Dilruba mußten dafür gefunden werden. Und Orte wurden gebraucht, an denen Musik gelehrt, gelernt und aufgeführt werden konnte. So entstand auch das „Afghanistan National Institute of Music“ (ANIM) in Kabul.

Das, was wir heute als afghanische Kunstmusik bezeichnen, ist mit seinen melodischen Skalen sehr nahe an der klassischen nordindischen Musik. Sie wurde vor allem im 19. Jahrhundert und später am Hof des afghanischen Königs gepflegt, der zahlreiche Musiker aus Britisch-Indien nach Kabul holte. Auch Musiker*innen aus Kabul studierten bei Meistern in Indien und Pakistan. Es gab einen regen musikalischen Austausch in der gesamten Region. Instrumente wie die indische Kesseltrommel Tabla fanden Eingang in die afghanische Musik, und die afghanische Rubab wurde in Indien zur Sarod modifiziert. Die Stücke lassen sich im Wesentlichen in drei Gattungen einteilen: einfache instrumentale Stücke vor allem gespielt mit Rubab und Tabla, instrumentale Stücke in vier Teilen und lange instrumentale Suiten. Daneben gibt es eine große Vielfalt volksmusikalische Lieder und Tänze aus allen Regionen des Landes, die zumeist in den Rhythmen Geda (4/4), Dadra (6/8) und Mogholi (7/8) gespielt werden.

Safar werden Einblicke in die schönsten Blüten der verschiedenen Musiktraditionen Afghanistans geben, gespielt von vier Meistermusikern und zwei ihrer jungen Meisterschülerinnen.

Besetzung
Ustad Rameen Saqizada (Rubab)
Ustad Murad Sarkhosh (Ghichak, Gesang)
Ustad Fraidoon (Tabla)
Ustad Abdul Latif (Dhol, Thul)
Anita (Tanbur)
Meena (Dilruba)

Foto: Oliver Potratz

Beteiligte Städte

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Veranstaltungen

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